DER GEKLONTE HAUSARZT
Gastkommentar Dr. Ulrike Stenzl, Allgemeinmedizinerin, Graz
Quelle: Medical Tribune vom 09.07.2014
Das Leistungsspektrum einer hausärztlichen Praxis hängt von vielen Faktoren ab: Stadt, Land, Notarztsystem ja oder nein, Krankenhäuser oder Fachärzte in der Nähe, Art der zu versorgenden Bevölkerung, Räumlichkeiten, Mitarbeiter und nicht zuletzt vom Hausarzt selber.
Das hielt ich bisher eigentlich für selbstverständlich. Gerade lese ich aber, dass das eine Frechheit sei. Offensichtlich haben wir nicht unterschiedlich zu sein, sondern alle gleich. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Aber vielleicht wäre es sinnvoll, den perfekten Hausarzt zu züchten, und wenn man ihn einmal hat, dann lauter kleine Klone von ihm oder ihr über das Land zu verteilen.
E wie Einheitsarzt
Überall in der Medizin geht die Tendenz zur Spezialisierung. Z.B. stirbt der gute alte Allgemeininternist langsam aus. Mittlerweile muss man sich echt überlegen, wo man seine Patienten hinschickt, damit sie nicht Gefahr laufen, mit Hämorrhoiden beim Rheumatologen oder mit pAVK beim Endoskopiker zu landen. Ist ja auch ganz klar. Die einzelnen Gebiete werden immer größer und unüberschaubarer, und die Kollegen müssen sich spezialisieren. Um dann in dem Gebiet, das sie bearbeiten, optimale Patientenbetreuung zu gewährleisten. Ich finde das ja auch nur logisch. Auch in der Wirtschaft wird geschaut, wo Mitarbeiter optimal einsetzbar sind. Tausende von Stunden werden auf Seminaren verbracht und tausende von Euros ausgegeben, um die eigenen Stärken zu erkennen und optimal für die eigene Karriere und die Firma einzusetzen. Und noch mehr Seminare und Veranstaltungen werden besucht, damit die optimal eingesetzten Mitarbeiter sich auch optimal geschult und wertgeschätzt fühlen. Denn nur glückliche Kühe legen schöne, große Eier oder so in etwa.
Wenn sich unsereiner so niederlässt, bringt er seine Persönlichkeit, seine Vorlieben und seine Familie mit in den Job. Wer notfallmedizinisch oder chirurgisch nicht viel kann und dann auch noch drei kleine Kinder hat, wird kaum in einem entlegenen Gebirgsdorf praktizieren wollen. Wem möglichst viel Leichtigkeit vorschwebt, der wird keine Hausapotheke haben wollen, und wer nicht gerne kulturübergreifend arbeiten möchte, bestimmte Bezirke in Wien oder Graz meiden. Dann haben wir zwar im Turnus alle dasselbe Rasterzeugnis erhalten, aber beileibe nicht dieselbe Ausbildung.
Wir haben auch nicht alle dieselben Zusatzausbildungen gemacht, denn wir haben unterschiedliche Begabungen und unterschiedliche Interessen. Manche von uns haben ein Psy-Diplom, andere sind aktiv im Notarztwesen unterwegs. Und man sollte sich davor hüten, die Rollen zu vertauschen. Schon bei Kindern versuchen wir Begabungen zu fördern und Interessen zu wecken. Und dann soll ausgerechnet in unserem Beruf das alles egal sein und der Einheitsdoktor ordinieren? Und das soll vielleicht auch noch anstrebenswert sein? Normalerweise ist man in dem Gebiet am besten, das einem am meisten liegt, wo Liebe und Interesse vorhanden sind. Dort kann man auch am meisten leisten, am längsten arbeiten und am ehesten ohne vorzeitig auszubrennen den Menschen dienen.
Und es gibt ja auch die freie Arztwahl. Patienten suchen sich ihre Hausärzte nach Sympathie, persönlicher Wellenlänge, Lage und Öffnungszeit. Und auch nach Leistungsspektrum. Niemand geht mit seinen Kleinkindern zum Geriater. Wichtig ist, dass die ganze Vielfalt der Medizin im Spektrum der Hausärzte zu finden bleibt, aber doch nicht in der Person eines einzelnen!
Lasst uns doch einzigartig sein!
Jeder Anwalt hat Jus studiert. Aber ich kann auch nicht erwarten, dass mich ein Wirtschaftsanwalt gut im Scheidungsfall oder in einer Strafsache vertritt. Und das leuchtet allen ein. Genauso wie die Tatsache, dass jeder Selbstständige wirtschaftlich ohne Netz ständig den freien Fall riskiert. Deshalb hat jeder Betrieb seine Schwerpunkte, jedes Geschäft seine besonderen Angebote, jeder sein spezielles Leistungsspektrum. Was für andere völlig normal ist, soll bei Hausärzten plötzlich pfui sein? Außerdem haben wir auch unsere Praxisräumlichkeiten und unsere Angestellten. Es ist ein Unterschied, ob ich eine kleine Klink betreibe oder eine Dreizimmerwohnung adaptiert habe. Ob eine Krankenschwester, ein Notfallsani oder eine Sekretärin einen bei der Arbeit unterstützt. Und zusätzlich haben wir die Verpflichtung, dass die, die für uns arbeiten, optimal geschult, nach Neigungen und Fähigkeiten optimal eingesetzt werden und gern ihrer Arbeit nachgehen. Überall wird auf Individualismus und unverkennbare Identität gesetzt. Also lasst uns bitte einzigartig sein und in dem, worin wir gut sind, Höchstleistungen erbringen!
Zusammen sind wir 100 Prozent und können alles.
Als einzelner Hausarzt oder als einzelne Hausärztin sind wir aber Unikate!
Vielen Dank. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Man muss die Spezialisierung kritisch sehen – zumindest hinsichtlich der Entwicklung in Bezug auf den Hausarzt. Neben der Spezialisierung muss man auch darauf fokussiert sein, einen Hausarzt als Spezialgebiet anzusehen, damit eben es zugleich Generalisten als auch Spezialisten gibt. Wenn nur Ärzte mit Spezialgebieten verfügbar sind, sorgt das am Ende ja auch nur für Probleme. Oder sehe ich das falsch?
Ludgar P.
24. Oktober 2014 at 22:47