ELGA: Was bedeutet der gläserne Patient für die tägliche Praxis?
Erleichtert die elektronische Verfügbarkeit von Patientendaten mittels „ELGA“ unsere ärztliche Arbeit oder bedeutet sie für uns Ärzte mehr Arbeitsaufwand, Kosten und Haftungsrisiko?
Für die erste Ausbaustufe der „ELGA“ ist die Verfügbarkeit von 4 verschiedenen Dokumentenklassen vorgesehen, die vom Patienten selbst über das Patientenportal oder von einem berechtigten „Gesundheitsdiensteanbieter“ („GDA“), dazu zählen wir Ärzte und andere medizinische Berufsgruppen, abgerufen werden können: Diese sind : Spitalsentlassungsbriefe, Laborbefunde, Radiologiebefunde und Medikationsdaten(verordnete bzw. abgegebene Medikamente). Eine Reihe weiterer Dokumente bzw. Informationen sind in Planung, wie „Patientsummary“, fachärztliche Befunde, Impfpaß, MK-Paß, Patientinnenverfügungen, Vorsorgevollmachten und andere.
Diskussionsthemen rund um ELGA sind neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen, Kosten, Arbeitsaufwand und Usability vor allem auch die „Privacy“, der Schutz der Privatsphäre und sensibler Informationen des Patienten. Aus dessen Sicht und entsprechend den Arbeitsabläufen in Praxen, Ambulanzen und Spitälern können fünf verschiedene Vertraulichkeitsstufen der Daten eines Patienten unterschieden werden:
1) administrative Daten: Name, Vorname, Geschlecht, Versicherungsnummer, Krankenkasse können mittels E-Card-System abgerufen werden. Für uns oft wichtige weitere Daten wie
Adresse, Dienstgeber, Telephonnummer, E-Mailadresse, etc. verweigert uns aber die Politik und die Sozialversicherung mit dem Argument des Datenschutzes obwohl vermutlich nur wenige Menschen Vorbehalte gegen die elektronische Verfügbarkeit dieser Daten für berechtigte „Gesundheitsdiensteanbieter“ haben und die gesetzlichen Voraussetzungen durch ASVG §31a und das „ELGA-Gesetz“ zu regeln wären. Hauptverband bzw. Krankenkassen wären bereits seit einigen Jahren technisch in der Lage uns diese Informationen mittels E-Card System jeweils aktualisiert („zentrale Partnerverwaltung“) zu übermitteln.
2) nützliche Daten: Daten, die der Patient selbst allen Behandelnden zugänglich machen möchte, z.B. Allergien, wesentliche Krankheiten in der Anamnese, Patientenverfügungen, Kontaktpersonen: erst wenn ein solches gut konzipiertes und vom Patienten mitgestaltetes bzw. autorisiertes „Patientsummary“ zur Verfügung steht, wird für uns Behandelnde ein Informations- und Zeitgewinn entstehen. Die Konzeption des „Patientsummary“ erweist sich aber(nicht nur bei uns) schwieriger als erwartet, da die Anforderungen und Wünsche diverser Behandler äußerst unterschiedlich sind und ein tragfähiger Kompromiss zwischen einfacher Übersicht und Vollständigkeit gefunden werden muss, was insbesondere dort, wo wir es am meisten benötigen, nämlich bei komplexen Krankengeschichten schwierig ist. Die von den Technikern angedachte ausschließlich automatisierte Erstellung des Patientsummary erscheint eine Illusion, ohne individuelle ärztlich- fachliche Unterstützung bei der Erstellung und laufenden Aktualisierung ist mit einer Datenflut bei gleichzeitigem Informationsmangel zu rechnen.
3) medizinische Daten: Informationen über bisherige Behandlungen , z.B. Entlassungsberichte, Befunde, Medikation: es ist der derzeitige Plan von ELGA allen berechtigten Behandlern diese Informationen Zeit und ortsunabhängig zugänglich zu machen. Allerdings wird ELGA genauso wie die seit Jahrzehnten bewährte gerichtete Kommunikation (DaMe, MedicalNet) nur so nützlich sein wie auch tatsächlich freigegebene („validierte“) Befunde bedarfsaktuell vorhanden sind. Tage- bis wochenlange Verzögerungen der Validierung reduzieren den Informationswert für den Weiterbehandler auf Null und stellen mehr ein „kulturell – menschliches“ („human factor“) als ein technisches Problem dar, das aber in vielen Bereichen dringend zu lösen ist.
4) stigmatisierende Daten: Medizinische Informationen, die dem Patienten nach seiner Einschätzung im privaten oder beruflichen Leben schaden könnten (z.B. heikle Diagnosen):
nach dem geltenden ELGA Gesetz sind bestimmte medizinische Berufsgruppen (Amtsärzte, Schulärzte, Betriebsärzte und andere) vom Zugang zu ELGA ausgeschlossen, um Nachteile für den Patienten in beruflichen oder anderen Bereichen zu vermeiden. Es bleibt aber abzuwarten, wie weit und in welcher Form Versicherungen und andere Druck auf die Patienten ausüben werden um trotzdem, wie schon bisher, mittels Zustimmungserklärungen und anderen Maßnahmen an gewünschte Daten heranzukommen.
5) geheime Daten: Informationen, die der Patient den Behandelnden generell nicht zugänglich machen will: wie schon bisher hat der Patient in ELGA das Recht dem Behandler Informationen zu verweigern. Gesetzlich vorgesehen ist dies speziell für HIV-Erkankung, Schwangerschaftsabbrüche und psychische Erkrankungen. ELGA bleibt somit aus der Sicht des Behandlers immer unvollständig bzw. lückenhaft.
Es bleibt somit insgesamt fraglich ob der von den Proponenten behauptete große Informations- und Sicherheitsgewinn wirklich erreicht werden kann und in einer vernünftigen Relation zu Aufwand und Kosten steht. Insbesondere die Kosten liegen, entsprechend internationalen gleichlautenden Untersuchungen auf Seiten der „Gesundheitsdiensteanbieter“ , während der Nutzen (Kostenersparnis durch Behandlungsverbesserung, Fehlervermeidung) dem System zufällt. Hier muß ein fairer Ausgleich gefunden werden.
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